Erbbaurecht an zweiter Rangstelle: OLG Karlsruhe weist Beschwerde zurück
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in seinem Beschluss vom 30.06.2023, Az.: 14 W 38/23 (Wx), die Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Grundbuchamt – Villingen-Schwenningen abgewiesen. Das Gericht bestätigte, dass die Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses für die Eintragung eines Erbbaurechts an zweiter Rangstelle nicht möglich ist, da dies sowohl für die Berechtigten des vorrangigen Rechts als auch für den Bestand des Erbbaurechts als „schädlich“ eingestuft wurde.
Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der ersten Rangstelle eines Erbbaurechts im Grundbuch und die Notwendigkeit, dass alle voreingetragenen Rechte entweder gelöscht oder in den Rang zurücktreten müssen, um die Eintragung eines Erbbaurechts zu ermöglichen.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Die erste Rangstelle des Erbbaurechts ist zwingend erforderlich.
- Schädlichkeit für vorrangige Rechte oder den Erbbaurechtsbestand verhindert die Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses.
- Das Grundbuchamt muss die Schädlichkeit prüfen und feststellen.
- Auch wirtschaftliche Nachteile können ein Grund für die „Schädlichkeit“ sein.
- Die Berechtigten des vorrangigen Rechts müssen einem Rangrücktritt zustimmen, falls möglich.
- Die Planung des Bauvorhabens muss die bestehenden Rechte berücksichtigen.
- Ein Rangrücktritt der Dienstbarkeitsberechtigten ist nicht immer leicht zu erlangen.
- Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der grundbuchrechtlichen Rangordnung und die Schutzfunktion des ErbbauRG.
Übersicht
- Erbbaurecht an zweiter Rangstelle: OLG Karlsruhe weist Beschwerde zurück
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- ✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
- Was ist das Ziel eines Unschädlichkeitszeugnisses im Kontext des Erbbaurechts?
- Warum ist die erste Rangstelle für ein Erbbaurecht im Grundbuch von besonderer Bedeutung?
- Inwiefern können bestehende Grunddienstbarkeiten die Eintragung eines Erbbaurechts beeinflussen?
- Unter welchen Umständen können Ausnahmen vom Erfordernis der ersten Rangstelle für Erbbaurechte gemacht werden?
- Das vorliegende Urteil
Unschädlichkeitszeugnis im Erbbaurecht: Rechtliche Rahmenbedingungen und Herausforderungen
Das Erbbaurecht ist ein wichtiges Instrument zur Schaffung von Wohnraum und gewerblichen Flächen. Es ermöglicht die Übertragung von Grundstücken auf Erbbauberechtigte, die das Grundstück für einen bestimmten Zeitraum nutzen und dafür einen Erbbauzins zahlen. Um die Rechte der Erbbauberechtigten zu schützen, ist es wichtig, dass das Erbbaurecht im Grundbuch eingetragen wird. In der Regel muss das Erbbaurecht an erster Stelle im Grundbuch eingetragen sein, damit es vorrangig vor anderen Rechten, wie beispielsweise Grundschulden oder Hypotheken, besteht. In bestimmten Fällen kann jedoch von diesem Grundsatz abgewichen werden. Dies ist möglich, wenn das Grundbuchamt ein Unschädlichkeitszeugnis erteilt. Das Unschädlichkeitszeugnis bestätigt, dass die Eintragung des Erbbaurechts an zweiter oder späterer Stelle im Grundbuch weder für den Berechtigten des eingetragenen Rechts noch für den Bestand des Erbbaurechts nachteilig ist.
Der juristische Knoten um ein Erbbaurecht
In einem bemerkenswerten Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe wurde die komplexe rechtliche Materie rund um die Eintragung eines Erbbaurechts beleuchtet. Ausgangspunkt war der Antrag einer Grundstückseigentümerin auf Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses für die Eintragung eines Erbbaurechts, trotz einer bereits bestehenden Grunddienstbarkeit in Form eines Kanalrechts. Das Grundbuchamt Villingen-Schwenningen hatte diesen Antrag zuvor zurückgewiesen, da die erste Rangstelle des Erbbaurechts nicht gewährleistet war.
Die Stolpersteine der ersten Rangstelle
Die rechtliche Herausforderung lag in der grundlegenden Anforderung des § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG, nach der ein Erbbaurecht zwingend die erste Rangstelle im Grundbuch einnehmen muss. Diese Vorschrift soll den ungestörten Bestand des Erbbaurechts über seine gesamte Dauer gewährleisten. Im vorliegenden Fall war das Grundstück jedoch bereits mit einer Grunddienstbarkeit belastet, welche die geforderte erste Rangstelle des Erbbaurechts in Frage stellte. Die Antragstellerin argumentierte, dass diese Dienstbarkeit weder für die Berechtigten des Kanalrechts noch für den Bestand des Erbbaurechts schädlich sei, was die Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses rechtfertigen würde.
Juristische Feinheiten des Unschädlichkeitszeugnisses
Der Kern des Rechtsstreits drehte sich um die Frage, ob ein Abweichen von der ersten Rangstelle des Erbbaurechts ohne nachteilige Konsequenzen für die beteiligten Parteien möglich ist. Dabei spielte die Definition von „Schädlichkeit“ eine entscheidende Rolle. Das OLG Karlsruhe stellte klar, dass Schädlichkeit nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Nachteile umfasst. Die Entscheidung des Gerichts unterstrich die Bedeutung einer umfassenden und vorausschauenden Prüfung von Grundbuchbelastungen vor der Planung eines Bauprojekts.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe
Das Gericht wies die Beschwerde der Antragstellerin zurück und bestätigte die Entscheidung des Grundbuchamts, den Antrag auf ein Unschädlichkeitszeugnis abzulehnen. Es wurde festgestellt, dass die bestehende Grunddienstbarkeit und das geplante Erbbaurecht in einem konkurrierenden Verhältnis stehen, welches potenziell erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die Dienstbarkeitsberechtigten mit sich bringen könnte. Darüber hinaus betonte das Gericht, dass die Nichterteilung des Unschädlichkeitszeugnisses auf Versäumnissen beruht, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der Dienstbarkeitsberechtigten lagen.
Dieser Fall verdeutlicht die Komplexität des Erbbaurechts und die Bedeutung der ersten Rangstelle im Grundbuch. Er zeigt auf, dass die Eintragung eines Erbbaurechts eine sorgfältige Planung und Berücksichtigung aller bestehenden Grundbuchbelastungen erfordert, um rechtliche und wirtschaftliche Nachteile für alle Beteiligten zu vermeiden.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Was ist das Ziel eines Unschädlichkeitszeugnisses im Kontext des Erbbaurechts?
Ein Unschädlichkeitszeugnis im Kontext des Erbbaurechts hat das Ziel, den lastenfreien Eigentumsübergang zu erleichtern und zur Bereinigung der öffentlichen Bücher und Register beizutragen. Es wird insbesondere dann relevant, wenn ein Erbbaurecht nicht an erster Rangstelle im Grundbuch eingetragen werden kann.
Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 des Erbbaurechtsgesetzes (ErbbauRG) kann ein Erbbaurecht normalerweise nur zur ausschließlich ersten Rangstelle am Erbbaugrundstück bestellt werden. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen ein Erbbaurecht auch an nachrangiger Stelle eingetragen werden kann. In solchen Fällen ist ein Unschädlichkeitszeugnis erforderlich, das bestätigt, dass die nachrangige Eintragung des Erbbaurechts weder für die Berechtigten der vorrangigen Rechte noch für den Bestand des Erbbaurechts schädlich ist.
Das Unschädlichkeitszeugnis wird also ausgestellt, um zu bestätigen, dass die nachrangige Eintragung eines Erbbaurechts im Grundbuch keine negativen Auswirkungen auf andere Rechte hat, die bereits im Grundbuch eingetragen sind. Es dient somit der Sicherung der Rechte aller Beteiligten und der Klarheit im Grundbuch.
Warum ist die erste Rangstelle für ein Erbbaurecht im Grundbuch von besonderer Bedeutung?
Die erste Rangstelle für ein Erbbaurecht im Grundbuch ist von besonderer Bedeutung, da sie den Schutz des Erbbauberechtigten und der ihn finanzierenden Bank gewährleistet. Nach § 10 Abs. 1 ErbbauRG kann ein Erbbaurecht ausschließlich an der ersten Rangstelle bestellt werden. Eine nachrangige Eintragung ist unzulässig.
Sollte der Eigentümer des Grundstücks in finanzielle Schwierigkeiten geraten und das Grundstück zwangsversteigert werden müssen, bleibt das Erbbaurecht in jedem Fall bestehen und erlischt nicht in der Zwangsversteigerung. Dies bedeutet, dass das Erbbaurecht vor anderen Rechten, wie beispielsweise einer Grundschuld oder Hypothek, befriedigt wird.
Wenn das Erbbaurecht an erster Stelle steht und die Bank das Objekt zwangsversteigern lassen müsste, wird das Erbbaurecht vor der Bank befriedigt. Hätte die Bank die erste Rangstelle inne und würde das Objekt zwangsversteigern lassen, geht das Erbbaurecht unter und der Erbbaurechtgeber geht künftig leer aus.
Diese Regelung dient dem Schutz des Erbbauberechtigten und der ihn finanzierenden Bank. Ohne die Gewissheit, im Falle des Zahlungsverzugs die Darlehenssumme aus der Zwangsvollstreckung zu erhalten, würde keine Bank einen Kredit gewähren.
Daher ist die erste Rangstelle für ein Erbbaurecht im Grundbuch von besonderer Bedeutung, da sie die Rechte des Erbbauberechtigten und der ihn finanzierenden Bank schützt und sicherstellt, dass das Erbbaurecht auch im Falle einer Zwangsversteigerung des Grundstücks bestehen bleibt.
Inwiefern können bestehende Grunddienstbarkeiten die Eintragung eines Erbbaurechts beeinflussen?
Bestehende Grunddienstbarkeiten können die Eintragung eines Erbbaurechts auf verschiedene Weise beeinflussen. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 des Erbbaurechtsgesetzes (ErbbauRG) muss ein Erbbaurecht an erster Rangstelle im Grundbuch eingetragen werden, was bedeutet, dass bereits eingetragene Rechte entweder gelöscht oder im Rang zurücktreten müssen, um Platz für das Erbbaurecht zu schaffen.
Wenn ein Grundstück mit einer Dienstbarkeit belastet ist, kann dies problematisch sein, da die Dienstbarkeitsberechtigten möglicherweise nicht bereit sind, einen Rangrücktritt zu akzeptieren, insbesondere wenn es sich um existenznotwendige Rechte wie Leitungs- oder Wegerechte handelt. In solchen Fällen kann die Eintragung des Erbbaurechts nur erfolgen, wenn die Berechtigten der Grunddienstbarkeit dem Erbbaurecht den Vorrang einräumen.
Zudem kann eine Grunddienstbarkeit, die an einem Erbbaurecht bestellt wird, nur im Rang nach dem Erbbaurecht eingetragen werden. Dies bedeutet, dass die Dienstbarkeit in ihrer Wirkung dem Erbbaurecht untergeordnet ist und die Ausübung der Dienstbarkeit durch den Erbbauberechtigten beeinträchtigt werden könnte.
Zusammenfassend können bestehende Grunddienstbarkeiten die Eintragung eines Erbbaurechts erschweren, da sie entweder gelöscht oder im Rang zurücktreten müssen, um die erste Rangstelle für das Erbbaurecht zu sichern. Die Bereitschaft der Dienstbarkeitsberechtigten, einen Rangrücktritt zu akzeptieren, ist dabei entscheidend.
Unter welchen Umständen können Ausnahmen vom Erfordernis der ersten Rangstelle für Erbbaurechte gemacht werden?
Ausnahmen vom Erfordernis der ersten Rangstelle für Erbbaurechte sind unter bestimmten Umständen möglich. Gemäß § 10 Abs. 1 des Erbbaurechtsgesetzes (ErbbauRG) muss ein Erbbaurecht grundsätzlich an der ersten Rangstelle im Grundbuch eingetragen werden, und der Rang kann nicht geändert werden. Allerdings erlaubt das Gesetz unter bestimmten Bedingungen ein Abweichen von dieser Regel.
Eine solche Ausnahme wird durch die Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses ermöglicht. Dieses Zeugnis kann ausgestellt werden, wenn die nachrangige Eintragung eines Erbbaurechts keine negativen Auswirkungen auf die Rechte hat, die im Grundbuch vorrangig eingetragen sind. Das bedeutet, dass ein Erbbaurecht unter bestimmten Voraussetzungen auch an einer nachrangigen Stelle eingetragen werden kann, ohne dass dies zu Nachteilen für die Inhaber der vorrangigen Rechte führt.
Die Möglichkeit, vom Erfordernis der ersten Rangstelle abzuweichen, ist somit an die Bedingung geknüpft, dass durch die nachrangige Eintragung des Erbbaurechts die Interessen der Inhaber vorrangiger Rechte nicht beeinträchtigt werden. Dies wird durch das Unschädlichkeitszeugnis bestätigt.
Zusätzlich zu dieser spezifischen Regelung können landesrechtliche Vorschriften weitere Möglichkeiten bieten, vom Erfordernis der ersten Rangstelle abzuweichen. Diese Regelungen ermöglichen es, die starre Vorgabe des ErbbauRG unter bestimmten Umständen flexibel zu handhaben, um den praktischen Bedürfnissen der Beteiligten gerecht zu werden.
Das vorliegende Urteil
OLG Karlsruhe – Az.: 14 W 38/23 (Wx) – Beschluss vom 30.06.2023
1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Zurückweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Grundbuchamt – Villingen-Schwenningen vom 07.02.2023 … wird zurückgewiesen.
2. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten der Antragstellerin werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin greift die Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses nach §§ 1 ff. ErbbauRgV BW durch das Amtsgericht – Grundbuchamt – Villingen-Schwenningen an.
Mit Einreichung der notariellen Urkunde UR … vom 30.11.2021 durch Notar … beantragten die Erbbauberechtigten … und … und bewilligte die Antragstellerin als Grundstückseigentümerin die Eintragung eines Erbbaurechts am Grundstück Flurstück … im Grundbuch von … Blatt Nr. …. Unzutreffend ist in dem notariellen Erbbaurechtsvertrag unter „I. Vorbemerkungen“ vermerkt, das Grundstück sei in Abt. II und III des Grundbuchs lastenfrei. Tatsächlich ist das Grundstück in Abt. II Nr. 4 mit einer Grunddienstbarkeit (Kanalrecht, ausweislich der Eintragungsbewilligung mit Betretungsrecht zur Unterhaltung und Erneuerung) belastet. Das Grundbuchamt hat Notar … mit Zwischenbescheid vom 12.12.2022 darauf hingewiesen, dass die bereits eingetragene Grunddienstbarkeit der Eintragung des Erbbaurechts vor dem Hintergrund des Erfordernisses der ersten Rangstelle gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG entgegenstehe. Die vom Grundbuchamt erbetene Löschungsbewilligung oder die Rangrücktrittsbewilligungen der Grunddienstbarkeitsberechtigten zum Zwecke der Verschaffung der ersten Rangstelle des Erbbaurechts wurde in der Folge nicht beigebracht.
Stattdessen beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 03.02.2023 ein Unschädlichkeitszeugnis gemäß § 1 ErbbauRgV BW. Zur Begründung ihres Antrags führte sie unter anderem aus, die Dienstbarkeit sei weder für die Dienstbarkeitsberechtigten noch für den Bestand des Erbbaurechts schädlich. Das unterirdische Leitungsrecht sei nach telefonischer Aussage der Erbbauberechtigten für die angestrebte Bebauung nicht störend. Eine Rangrücktrittserklärung der Berechtigten des bisher eingetragenen Rechts sei nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu erlangen, jedenfalls nicht kurzfristig. Die Eintragung des Erbbaurechts im Grundbuch sei höchst eilbedürftig, ein weiteres Zuwarten den Beteiligten nicht zumutbar. Bei den Dienstbarkeitsberechtigten handele es sich um die Eigentümer des östlich angrenzenden Grundstücks Flurstück …, eine Wohnungseigentümergemeinschaft mit acht Parteien. Die Anschriften der Wohnungseigentümer seien nicht bekannt. Es sei davon auszugehen, dass es sich hier teilweise um Zweitwohnungen handele, deren Eigentümer nicht in … wohnten. Die Stadt … benötige dringend Wohnraum, weshalb die Realisierung des im Erbbaurechtsvertrag geregelten Projektes durch die Erbbauberechtigten von großer Bedeutung sei. Den Erbbauberechtigten drohten, wenn sie das beabsichtigte Projekt nicht rasch realisierten, finanzielle Nachteile unterschiedlicher Art, letztlich drohe das Projekt insgesamt zu scheitern. Wegen der weiteren Einzelheiten der Antragsbegründung wird auf das Schreiben der Stadt … – Abteilung Grundstücksmanagement – vom 03.02.2023 Bezug genommen.
Die Erbbauberechtigten haben gemäß § 2 Abs. 3 ErbbbauRgV BW der nachrangigen Bestellung des Erbbaurechts zugestimmt.
Mit Beschluss vom 07.02.2023 hat das Amtsgericht – Grundbuchamt – Villingen-Schwenningen den Antrag nach § 18 Abs. 1 GBO zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die nur in absoluten Ausnahmefällen mögliche Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses nicht vorlägen. Zum einen könne das Grundbuchamt entgegen § 1 ErbbauRgV BW nicht feststellen, dass die Bestellung eines Erbbaurechts an zweiter Rangstelle weder für den Berechtigten des vorrangigen Rechts noch für den Bestand des Erbbaurechts schädlich sei. Da sich das zu bestellende Erbbaurecht auf das gesamte Grundstück beziehe und seine Ausübung daher unbeschränkt sei, beeinträchtige es die Grunddienstbarkeitsberechtigten, deren Kanalrecht ein Betretungsrecht für die Unterhaltung und Erneuerung beinhalte. Die Zulässigkeit des Antrages setze gemäß § 2 Abs. 2 ErbbauRgV BW darüber hinaus voraus, dass die Rangrücktrittserklärung der Berechtigten nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu erlangen sei. Die Einholung der Rücktrittsbewilligungen durch die Berechtigten stelle indes keine unverhältnismäßige Schwierigkeit dar. Diese seien in den Grundbüchern von … Blatt … bis … eingetragen. Unter Nutzung ihres Akteneinsichtsrechts in das Grundbuch könne die Stadt … die Beteiligten mit den ihr zu Verfügung stehenden Mitteln ohne weiteres ermitteln. Die Voraussetzungen der Bestellung eines Pflegers gemäß § 3 Abs. 2 ErbbauRgV BW lägen nicht vor, da die Beteiligten ermittelt werden könnten.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 20.03.2023, die deren Verfahrensbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 14.04.2023 begründet hat. Die Antragstellerin trägt unter anderem vor, im Bereich des Kanals seien lediglich PKW-Stellplätze, dagegen keine Gebäudebebauung vorgesehen. Die entsprechend beantragte Baugenehmigung sei mittlerweile erteilt worden. Wie auf dem Lageplan (vorgelegt als Anlage BG 3) und dem Bebauungsplan (vorgelegt als Anlage BG 6) ersichtlich, befinde sich die Kanalleitung außerhalb des ausgewiesenen Baufensters. Eine Überbauung sei in diesem Bereich mithin nicht möglich. Der zwischenzeitlich erfolgte Versuch, von den durch die Grunddienstbarkeit begünstigten Eigentümern der Wohnungen in der Wohnanlage auf dem Grundstück Flurstück … Rangrücktrittserklärungen zu erhalten, sei gescheitert. Somit lägen unverhältnismäßige Schwierigkeiten im Sinne von § 2 Abs. 2 ErbbauRgV BW vor, da Rangrücktrittserklärungen nicht erreicht werden könnten. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Unschädlichkeitszeugnisses lägen vor. Die gemäß § 2 Abs. 3 ErbbauRgV BW erforderliche Zustimmung der Erbbauberechtigten zur nachrangigen Bestellung sei erteilt. Die Bestellung eines Erbbaurechts an zweiter Rangstelle sei weder für die Berechtigten der Grunddienstbarkeit noch für den Bestand des Erbbaurechts „schädlich“. Das durch die Grunddienstbarkeit gesicherte Kanalleitungsrecht liege außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche. Das Kanalleitungsrecht sei damit von einer Bebauung nicht tangiert. Aber auch der Bestand des nur an zweiter Rangstelle eingetragenen Erbbaurechts sei nicht gefährdet, da die Stadt … als Körperschaft des öffentlichen Rechts „insolvenzsicher“ sei und daher auch keine Zwangsversteigerung des Grundstücks drohe.
Das Amtsgericht – Grundbuchamt – hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27.04.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, dem Argument der besonderen Eilbedürftigkeit aufgrund der vertraglichen Verpflichtung des Erbbauberechtigten gegenüber der Beschwerdeführerin könne nicht gefolgt werden, da es in deren Macht liege, inwieweit sie auf die Einhaltung der vertraglichen Pflichten bestehe, zumal sie es selbst versäumt habe, das Grundbuch zu überprüfen. § 10 Abs. 1 ErbbauRG diene vor allem der Absicherung des Erbbaurechts über die gesamte Laufzeit, im vorliegenden Fall somit bis 31.12.2101. Auch Grunddienstbarkeiten, aus denen keine Zwangsversteigerung betrieben werden könne, dürften dem Erbbaurecht im Rang nicht vorgehen, da diese aufgrund der aus ihnen abzuleitenden Benutzungsbefugnisse das Eigentum des Erbbauberechtigten störten. Die Rangstelle im Grundbuch sichere nicht nur die Verwertbarkeit des Rechts, sondern auch die Verwirklichungsreihenfolge. Das Unschädlichkeitszeugnis sei nur zu erteilen, wenn die dinglich Berechtigten nur geringfügig betroffen seien, was vorliegend nicht der Fall sei. Da sich der Ausübungsbereich der Grunddienstbarkeit unmittelbar unter den neu zu erstellenden Parkplätzen befinde, sei eine Erneuerung oder Unterhaltung des Privatkanals unverhältnismäßig erschwert. Auch ein finanzieller Nachteil des Dienstbarkeitsberechtigten sei zu befürchten, da der Berechtigte aufgrund § 3 der Dienstbarkeitsbestellung für die Unterhaltungs- und Instandsetzungskosten hafte. Der zu betreibende Aufwand im Schadensfalle sei, wenn die Leitungen unter den Stellplätzen liegen, erheblich. Auch das Erbbaurecht sei beeinträchtigt, da das Kanalleitungsrecht aufgrund seines Vorranges zu dulden sei und im Schadensfalle eine Reparatur und Sanierung der Leitungen zu erfolgen habe, die die Nutzbarkeit der betroffenen Stellplätze für den Zeitraum bis zum Abschluss der Arbeiten ausschlösse. Die nach § 4 des Erbbaurechtsvertrages beabsichtigte Aufteilung in Wohnungs- und Teilerbbaurechte und die damit verbundene Zuweisung der Stellplätze als Sondereigentum oder Sondernutzungsrecht gestalte sich als problematisch.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 71 Abs. 1 GBO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG kann das Erbbaurecht nur zur ausschließlich ersten Rangstelle am Erbbaugrundstück bestellt werden, also weder nachrangig noch gleichrangig mit einem anderen Recht am Grundstück. Der erste Rang des Erbbaurechts kann auch später nicht geändert werden. Ist das mit dem Erbbaurecht zu belastende Grundstück nicht lastenfrei im Grundbuch eingetragen, sind daher bereits eingetragene (rangfähige) Rechte in Abt. II und/oder Abt. III des Grundbuchs entweder zu löschen oder im Wege eines Rangrücktritts hinter das zu bestellende Erbbaurecht zu setzen. Andernfalls ist die Einräumung eines Erbbaurechts am Grundstück grundsätzlich nicht möglich.
§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG betrifft nicht nur dingliche Befriedigungs- bzw. Verwertungsrechte wie Hypotheken oder Grundschulden, sondern auch Dienstbarkeiten jeglicher Art. Solche Dienstbarkeiten stehen der von § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG für das Erbbaurecht geforderten Rangstelle auch dann entgegen, wenn sich ihre Ausübung nur auf eine kleine Teilfläche des Grundstücks beschränken, nach herrschender Meinung selbst dann, wenn sich die Ausübungsbereiche von Dienstbarkeit und Erbbaurecht nicht überschneiden. Ist ein Grundstück mit einer Dienstbarkeit belastet, kann ein Erbbaurecht daher grundsätzlich nur bestellt werden, wenn entweder – soweit möglich – eine den jeweiligen Ausübungsbereichen entsprechende Teilung des Grundstücks erfolgt oder der Berechtigte dem Erbbaurecht den Vorrang einräumt (zum Ganzen BeckOGK/Toussaint, Stand: 15.03.2023, ErbbauRG § 10 Rn. 3 ff.; Schöner/Stöber, GrundbuchR, 16. Aufl. 2020, Rn. 1731 ff.; Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG-Kommentar, 12. Aufl. 2022, § 10 ErbbauRG Rn. 3, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Rspr. und Lit.). Eine Mindermeinung (Grziwotz in: Erman, BGB, Kommentar, 16. Aufl. 2020, ErbbauRG § 10 Rn. 1) hält eine teleologische Reduktion des § 10 Abs. 1 ErbbauRG – also die nachrangige Eintragung des Erbbaurechts – (nur) dann für möglich, wenn es sich bei dem vorrangigen Recht um kein Verwertungsrecht handelt und der Ausübungsbereich des vorrangigen Rechts denjenigen des Erbbaurechts samt Erstreckungsfläche nicht betrifft.
Ratio des Erfordernisses der ersten Rangstelle ist zum einen die Gewährleistung des ungestörten Bestands des Erbbaurechts für seine ganze Dauer, indem durch die Erstrangigkeit ausgeschlossen ist, dass ein im Grundbuch eingetragener vorrangiger Berechtigter am Grundstück die Zwangsversteigerung desselben betreibt und das Erbbaurecht dadurch gemäß §§ 52 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 1 ZVG erlischt; die Vorschrift des § 25 ErbbauRG verlängert diesen Schutz für die Fälle der Zwangsversteigerung aus einer nicht eingetragenen Belastung nach § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRG oder einer Belastung nach § 10 Abs. 2 ErbbauRG (statt vieler MüKoBGB/Weiß, 9. Aufl. 2023, ErbbauRG § 10 Rn. 1). Ratio des § 10 Abs. 1 ErbbauRG ist aber auch, das grundstücksgleiche Eigentum des Erbbauberechtigten vor Störungen zu schützen, die beispielsweise von aus einer Grunddienstbarkeit abzuleitenden Benutzungsbefugnissen resultieren könnten; dies ist der Grund dafür, dass auch Dienstbarkeiten oder sonstige Rechte, aus denen keine Zwangsvollstreckung betrieben werden kann, dem Erbbaurecht im Range nicht vorgehen dürfen (Staudinger/Rapp, Neubearbeitung 2021, ErbbauRG § 10 Rn. 1a). Hintergrund ist, dass der Rang eines Rechts eben auch die Funktion hat, zwischen zwei sich überschneidenden Rechten die Berechtigung hinsichtlich der Nutzungen zu priorisieren (BeckOGK/Kesseler, Stand: 01.02.2023, BGB § 879 Rn. 2). Mittelbar schützt das Erfordernis der ersten Rangstelle damit auch den Dienstbarkeitsberechtigten, der durch die Verweigerung seiner Zustimmung zum Rangrücktritt die Eintragung des Erbbaurechts regelmäßig verhindern kann, was zu einer starken Verhandlungsposition führt, wenn es um die Frage der Absicherung des zurücktretenden Rechts geht (Ingenstau/Hustedt, a. a. O., § 10 ErbbauRG Rn. 2: „Vetoposition“).
Der baden-württembergische Landesgesetzgeber hat von der Verordnungsermächtigung des § 10 Abs. 2 ErbbauRG, wonach Bestimmungen getroffen werden können, die bei der Bestellung des Erbbaurechts von dem Erfordernis der ersten Rangstelle abweichen, wenn dies für die vorhergehenden Berechtigten und den Bestand des Erbbaurechts unschädlich ist, durch die Verordnung der Landesregierung über den Rang von Erbbaurechten vom 17. Januar 1994 (GBl. 1994, 49) Gebrauch gemacht. Nach § 1 ErbbauRgV BW kann vom Erfordernis der ersten Rangstelle unter anderem hinsichtlich einer vorrangig eingetragenen Dienstbarkeit abgewichen werden, wenn das Grundbuchamt festgestellt hat, dass dies weder für den Berechtigten des eingetragenen Rechts noch für den Bestand des Erbbaurechts schädlich ist (einen Überblick zu den baden-württembergischen Regelungen [ohne indes auf den Begriff der „Schädlichkeit“ einzugehen] bietet Panz, Überlegungen zum Unschädlichkeitszeugnis, BWNotZ 1998, 16).
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG eröffnet (dazu a) und kommt eine Ausnahme vom Erfordernis der ersten Rangstelle nach § 1 ErbbauRgV BW nicht in Betracht (dazu b).
a) Bei dem im Grundbuch in Abt. II eingetragenen Kanalrecht handelt es sich um eine Grunddienstbarkeit im Sinne des § 1018 BGB und damit ein bereits eingetragenes, rangfähiges Recht, das in Anbetracht der damit einhergehenden Benutzungsbefugnisse – namentlich des Betretungsrechts zur Unterhaltung und Erneuerung (s. § 3 des Gestattungsvertrags vom 03.06.1997) – nach Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG dem vorgesehenen Erbbaurecht im Range nicht vorgehen darf, da auch das Erbbaurecht mit der Befugnis zur (sogar uneingeschränkten) Grundstücksnutzung einhergeht, die Rechte sich somit partiell überschneiden und die Rangfolge auch Auswirkungen auf die Frage der Priorisierung der jeweiligen Ausübungsbefugnis hat.
b) Zutreffend ist das Grundbuchamt in seiner Nichtabhilfeentscheidung davon ausgegangen, dass mittlerweile zwar die formellen Voraussetzungen (dazu aa) für die Erteilung des Unschädlichkeitszeugnisses vorliegen, nach wie vor jedoch nicht die materiellen Voraussetzungen (dazu bb).
aa) Auch der Senat geht davon aus, dass mittlerweile die Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Antrag auf Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses nach § 2 Abs. 2 ErbbauRgV BW erfüllt sind. Angesichts der ausdrücklichen Weigerung von fünf Wohnungseigentümern des Flurstücks … (jeweils wegen einer grundsätzlich negativen Einstellung zu dem Bauvorhaben), einem Rangrücktritt zuzustimmen, und der fehlenden Rückmeldung vier weiterer Eigentümer ist die Rangrücktrittserklärung im vorliegenden Fall nicht, jedenfalls nicht ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten zu erlangen; aus Perspektive der auf das Kanalrecht zwingend angewiesenen Dienstbarkeitsberechtigten ist dies – ganz unabhängig von grundsätzlichen Vorbehalten gegen das Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück – angesichts der mit einem Rangrücktritt verbundenen Risiken für den Bestand des zurücktretenden Rechts (dazu eingehend Ott, Das Sicherungsbedürfnis von Dienstbarkeitsberechtigten bei der Bestellung eines Erbbaurechts, DNotZ 2015, 341) im Übrigen durchaus nachvollziehbar.
Auch die gemäß § 2 Abs. 3 ErbbauRgV BW erforderliche Zustimmung der Berechtigten des zu bestellenden Erbbaurechts zur nachrangigen Bestellung liegt vor.
bb) Dagegen fehlt es an der materiellen Voraussetzung des § 1 ErbbauRgV, wonach ein Abweichen vom Erfordernis der ersten Rangstelle nur möglich ist, wenn dies weder für den Berechtigten des eingetragenen Rechts noch für den Bestand des Erbbaurechts schädlich ist.
(1) „Schädlichkeit“ für den Berechtigten des eingetragenen Rechts im Sinne der Verordnung liegt dabei bei sachgerechter Auslegung des Begriffs dann vor, wenn das Nebeneinander des erstrangig eingetragenen dinglichen Rechts sowie des nachrangig einzutragenden Erbbaurechts zu mehr als lediglich geringfügigen wirtschaftlichen Nachteilen führen würde.
(a) Für dieses Begriffsverständnis sprechen bereits die Systematik des § 1 ErbbauRGV BW sowie die semantische Betrachtung des Begriffs der „Schädlichkeit“.
§ 1 ErbbauRGV BW differenziert zwischen Schädlichkeit für den Bestand des Erbbaurechts und Schädlichkeit für die Person des Berechtigten des vorrangig eingetragenen dinglichen Rechts. Während sich der Begriff der Schädlichkeit somit in einem Fall ausdrücklich auf das Recht – namentlich das Erbbaurecht – bezieht, geht es im anderen Fall um Schädlichkeit für den Inhaber des vorrangig eingetragenen, dinglichen Rechts, also gerade nicht (lediglich) das Recht selbst.
Nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch versteht man unter dem Begriff „Schaden“ jeden Nachteil, den jemand durch ein bestimmtes Ereignis erleidet. Der Begriff umfasst dabei sowohl den Vermögensschaden, das heißt den in Geld oder geldwerten Gütern ausdrückbaren Nachteil, als auch den ideellen oder immateriellen Nichtvermögensschaden (Weber, Rechtswörterbuch, 20. Edition 2023, „Schaden“, beck-online). Die Beeinträchtigung eines Rechts kann danach zwar ohne weiteres einen Schaden begründen, der Begriff des Schadens (und damit auch der „Schädlichkeit“) geht aber weit darüber hinaus.
(b) Auch die – freilich nur sehr begrenzt ergiebige – historische Auslegung spricht für dieses Begriffsverständnis.
In der Begründung des 1918 veröffentlichten Entwurfs (s. Sonder-Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger Nr. 104 vom 03.05.1918) zu § 10 ErbbauRG-E heißt es:
„Infolge des Erfordernisses der ersten Rangstelle können sich der Begründung von Erbbaurechten aber leicht wirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Schwierigkeiten entgegenstellen. Zu denken ist hier vornehmlich an die Verfügungsbeschränkungen des Eigentümers bei dem gebundenen Grundbesitz und an voreingetragene Rechte, die den Bestand des Erbbaurechts nicht gefährden können. Es empfiehlt sich daher, die der deutschen Gesetzgebung bereits bekannte Einrichtung der Unschädlichkeitszeugnisse – vergl. Art. 120 EG. zum BGB – auch für die Begründung von Erbbaurechten auf vorbelasteten Grundstücken zu verwerten. Der Entwurf sieht dementsprechend vor, daß durch landesherrliche Verordnung eine Befreiung von dem Erfordernis der ersten Rangstelle in bestimmten Fällen vorgesehen werden darf.“
In der nach Erlass der ErbbauVO im Jahre 1919 veröffentlichten Begründung (Erste Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger Nr. 26 vom 31.01.1919, S. 3) heißt es zu § 10 ErbbauVO ganz ähnlich:
„Infolge des Erfordernisses der ersten Rangstelle können sich der Begründung von Erbbaurechten aber leicht wirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Schwierigkeiten entgegenstellen. Zu denken ist hier vornehmlich an die Verfügungsbeschränkungen bei dem gebundenen Grundbesitz – Lehns-, Familienfideikommiß- und Stamm-Gütern – sowie an voreingetragene Rechte, die den Bestand des Erbbaurechts nicht gefährden können. Die Meinung, daß derartige Verfügungsbeschränkungen in keinem Rangverhältnis zu den Eintragungen in Abt. II und III des Grundbuchs stehen könnten, ist nicht unbestritten. Geht man von der entgegengesetzten Ansicht aus, so kann dies dazu führen, daß z. B. Erbbaurechte an Fideikommissen nicht bestellt werden können, weil, falls ein Rangverhältnis zwischen der eingetragenen Fideikommißeigenschaft und der Belastung mit dem Erbbaurecht angenommen wird, der Grundbuchvermerk über die Fideikommißeigenschaft im Range nicht verändert werden kann. Eine Klarstellung scheint daher erforderlich; zugleich ist die Möglichkeit vorzusehen, daß eine Änderung der Rechtsanschauungen die Bestellung von Erbbaurechten an gebundenem Besitz nicht ausschließt. Es empfiehlt sich dabei, die der deutschen Gesetzgebung bereits bekannte Einrichtung der Unschädlichkeitszeugnisse – vergl. Art. 120 EG zum BGB – auch für die Begründung von Erbbaurechten auf vorbelasteten Grundstücken zu verwerten. Der Entwurf sieht dementsprechend vor, daß und auf welchem Wege durch landesherrliche Verordnung eine Befreiung von dem Erfordernis der ersten Rangstelle in bestimmten Fällen vorgesehen werden darf.“
Soweit die Materialien Beispiele nennen, die der historische Gesetzgeber im Blick hatte, sind sie für die Frage der Auslegung des Begriffs „Schädlichkeit“ (für den Inhaber des eingetragenen Rechts) unergiebig. Denn die genannten Beispiele befassen sich nicht mit möglichen Nachteilen für die Berechtigten des voreingetragenen Rechts. Ausdrücklich genannt werden lediglich voreingetragene Rechte, die den Bestand des Erbbaurechts nicht gefährden, sowie der (heute nicht mehr bedeutsame) Spezialfall von Verfügungsbeschränkungen bei gebundenem Grundbesitz.
Soweit die Materialien empfehlen, die der deutschen Gesetzgebung bereits bekannte Einrichtung des Unschädlichkeitszeugnisses nach Art. 120 EGBGB auch für die Begründung von Erbbaurechten auf vorbelasteten Grundstücken zu verwerten, spricht dies dafür, unter Schädlichkeit für den Berechtigten des voreingetragenen Rechts wirtschaftliche Nachteile zu fassen. Denn bei den Unschädlichkeitszeugnissen nach Art. 120 EGBGB – also dem historischen Vorbild des § 1 ErbbauRGV BW – meint der Begriff der Schädlichkeit jedenfalls auch (und vor allem) wirtschaftliche Nachteile für von einer lastenfreien Veräußerung von Teilflächen betroffene, dinglich abgesicherte Sicherungsgeber (Staudinger/Mittelstädt, 2018, EGBGB Art 120, Rn. 1). So heißt es etwa in Art. 72 Abs. 3 BayAGBGB: „Die Rechtsänderung ist unschädlich, wenn 1. der Umfang und der Wert des belasteten Grundstücks (Abs. 1 Satz 1) oder 2. der Wert der Drittbelastung (Abs. 1 Satz 2) nur geringfügig geschmälert wird.“ Nach der zugrundeliegenden Gesetzesbegründung des „Gesetzes zur Änderung des Gesetzes, das Unschädlichkeitszeugnis betreffend, vom 07.08.2003“ darf ein Unschädlichkeitszeugnis nur erteilt werden, wenn die Verfügung über das Grundstück für einen an diesem Grundstück dinglich Berechtigten rechtlich und wirtschaftlich unschädlich ist (Kirchmayer, Das Bayerische Unschädlichkeitszeugnisgesetz vom 07.08.2003, Rechtspfleger 2004, 203). § 23 AGBGB BW enthält der Sache nach eine vergleichbare Vorschrift.
(c) Wenn § 1 ErbbauRGV BW ein Absehen vom Erfordernis der ersten Rangstelle hinsichtlich einer vorrangig eingetragenen Dienstbarkeit nur dann erlaubt, wenn das Grundbuchamt festgestellt hat, dass dies weder für den Berechtigten des eingetragenen Rechtes noch für den Bestand des Erbbaurechts schädlich ist, können damit bezogen auf die vorrangig eingetragene Grunddienstbarkeit schon mit Blick auf die grundbuchrechtliche Bedeutung des Rangs nur Nachteile faktischer, insbesondere wirtschaftlicher Art gemeint sein. Denn das Rangverhältnis regelt die Reihenfolge, in der die im Grundbuch eingetragenen Rechte verwirklicht werden. Bei konkurrierenden Nutzungsrechten setzt sich das besserrangige gegenüber dem schlechterrangigen durch (OLG München, Beschluss vom 17.06.2014 – 34 Wx 206/14, FGPrax 2014, 198; BeckOK GBO/Zeiser, Stand: 28.04.2023, GBO § 45 Rn. 1). Insofern ist nicht ersichtlich, inwieweit ein nachrangig eingetragenes Recht schädliche Auswirkungen auf das vorrangig eingetragene Recht als solches haben sollte; es entspricht dem Wesen der Vorrangigkeit, dass sie von nachrangig eingetragenen Rechten rechtlich nicht tangiert werden. Dies ist auch der Hintergrund der oben (a) dargestellten Differenzierung in § 1 ErbbauRGV BW.
(d) Nur dieses Begriffsverständnis der „Schädlichkeit“ harmoniert auch mit Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG, soweit es um das Erfordernis des ersten Ranges auch im Verhältnis zu Dienstbarkeiten geht, aus denen keine Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Wie dargestellt lässt sich das Erfordernis der Erstrangigkeit insoweit lediglich mit Blick auf konkurrierende, sich wechselseitig gegebenenfalls störende Ausübungsbefugnisse begründen. Konsequenterweise kommt es auch für die Frage der „Schädlichkeit“ dann aber darauf an, ob die nachrangige Eintragung eines Erbbaurechts aufgrund der hierdurch entstehenden Ausübungsbefugnis des Erbbauberechtigten nachteilige Auswirkungen tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher Art auf die Ausübungsbefugnisse des Dienstbarkeitsberechtigten haben kann. Auch hier ist zu sehen, dass das Erbbaurecht wegen seiner Nachrangigkeit das Recht des Dienstbarkeitsberechtigten von vornherein nicht berühren könnte, wenn § 1 ErbbauRGV BW zur Anwendung gelangte.
(2) Der Senat teilt die Auffassung des Grundbuchamts, dass das Abweichen vom Erfordernis der ersten Rangstelle, wodurch die Eintragung des Erbbaurechts erst ermöglicht würde, für die Dienstbarkeitsberechtigten mit erheblichen Nachteilen faktischer, insbesondere wirtschaftlicher Art verbunden wäre. Da die Berechtigten des Kanalrechts nach § 2 des Gestattungsvertrags vom 27.05./03.06.1997 mit sämtlichen Reinigungs-, Unterhaltungs- und Erneuerungskosten im Zusammenhang mit dem Privatkanal belastet sind und nach § 3 Satz 2 des Gestattungsvertrags zudem nach Durchführung von Unterhaltungsarbeiten verpflichtet sind, den früheren Zustand des Grundstücks auf eigene Kosten wiederherzustellen, kann die konkurrierende Ausübungsbefugnis der Erbbauberechtigten rein faktisch und wirtschaftlich zu einem erheblich größeren Aufwand im Falle der Vornahme von Reparatur-, Sanierungs- oder Erneuerungsarbeiten führen. Auch wenn es für die Frage der „Schädlichkeit“ lediglich auf potentiell störende Ausübungsbefugnisse ankommen kann und nicht darauf, ob bereits eine Planung existiert oder diese gar bereits umgesetzt ist, zeigt dies die nach der zwischenzeitlich erteilten Baugenehmigung beabsichtigte Bebauung exemplarisch: Der Kanal verläuft unmittelbar unter den vorgesehenen, neu zu schaffenden Stellplätzen. Stellplätze für Kfz stellen als bauliche Anlagen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 LBO in der Regel befestigte, abgegrenzte Flächen dar, mit deren Herstellung eine Verdichtung, häufig sogar eine Versiegelung des Bodens einhergeht, und deren Eröffnung wesentlich aufwendiger ist als die Eröffnung unbefestigten Terrains. Die Erbbauberechtigten hätten im Rahmen ihrer Ausübungsbefugnis jederzeit die Möglichkeit, die Stellplätze beispielsweise (genehmigungsfrei nach § 50 Abs. 1 LBO BW i. V. m. Anhang zu § 50 Abs. 1, Nr. 1b) als offene Carports auszugestalten, was im Falle der Erforderlichkeit von Aufgrabungen erheblichen weiteren Aufwand bedeuten könnte.
Kanalarbeiten führten in Anbetracht der nach § 4 des Erbbaurechtsvertrages beabsichtigten Aufteilung in Wohnungs- und Teilerbbaurechte notwendigerweise auch zu Eingriffen in die Rechte der Sondereigentümer oder Sondernutzungsberechtigten der Stellplätze, was aus Perspektive der Dienstbarkeitsberechtigten im Falle der Ausübung ihrer Nutzungsbefugnisse zu zusätzlichen rechtlichen Risiken führen würde, könnten sie sich im Falle der Uneinigkeit hinsichtlich der Reichweite ihrer Ausübungsbefugnis doch der Inanspruchnahme nicht nur durch den Grundstückseigentümer, sondern – gegebenenfalls auch mehreren – weiteren Personen, denen Rechte an den Stellplätzen zugewiesen sind, ausgesetzt sehen.
Soweit die Beschwerdeführerin, die den Begriff der „Schädlichkeit“ im Übrigen ebenfalls rein faktisch versteht, in ihrer Stellungnahme vom 21.06.2023 meint, durch die Erteilung des Unschädlichkeitszeugnisses träten keine „substantiellen Nachteile“ für die Dienstbarkeitsberechtigten ein, kann dem nicht gefolgt werden. Die Auffassung, derartige substantielle Nachteile lägen deswegen nicht vor, weil nicht zu erwarten sei, dass man den Kanal während der Laufzeit des Erbbaurechts (bis zum Jahr 2101) mehr als einmal komplett erneuern müsse, Reparatur- und Sanierungsarbeiten ohnehin „regelmäßig“ ohne Aufgrabungen mittels eines sogenannten Inliner-Verfahrens bewerkstelligt werden könnten und im Falle gegebenenfalls doch erforderlich werdender konventioneller Aufgrabungen die Stellplätze auch nur „relativ kurz“ beeinträchtigt würden, überzeugt aus mehreren Gründen nicht. Die Bewilligung des Kanalrechts stammt aus dem Jahr 1997. Dass Aufgrabungen zu Reparatur- oder Sanierungszwecken in der Zeit des Erbbaurechts erforderlich werden können, steht zur Überzeugung des Senats außer Frage und wird letztlich auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Die Dienstbarkeitsberechtigten auf ein Rohr-in-Rohr-Verfahren zu verweisen, scheidet schon deswegen aus, weil gerichtsbekannt ist, dass die Anwendung des Inline-Verfahrens bei schweren Rohrschäden und bei bestimmten Rohren (abhängig vom Rohrdurchmesser) schon grundsätzlich nicht in Betracht kommt.
(2) Ein Abweichen vom Erfordernis der ersten Rangstelle ist aus den genannten Gründen auch für den „Bestand des Erbbaurechts“ schädlich. Dabei kann mit dem in diesem Zusammenhang etwas missverständlich verwendeten Begriff „Bestand“ nicht das Bestehen des Erbbaurechts in dem Sinne gemeint sein, dass Schädlichkeit nur anzunehmen wäre, wenn die Existenz des Erbbaurechts infolge des Abweichens vom Erfordernis der ersten Rangstelle bedroht wäre. Denn da § 25 ErbbauRG auch bei vorrangigen Rechten, die zur Verwertung des Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung führen können, von vornherein das Erlöschen des Erbbaurechts verhindert, gefährdet die Vorrangigkeit als solche in keinem denkbaren Fall die Existenz des Erbbaurechts. Mit dem Grundbuchamt geht daher auch der Senat davon aus, dass mit der Formulierung „für den Bestand des Erbbaurechts schädlich“ jede nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung der aus dem Erbbaurecht folgenden Rechtsposition gemeint ist. Das Abweichen vom Erfordernis der ersten Rangstelle würde die uneingeschränkte Nutzungsbefugnis der Erbbauberechtigten am Grundstück tangieren. Im Falle der Vornahme von Kanalarbeiten wäre die Nutzbarkeit der Stellplätze während der Dauer der Arbeiten beeinträchtigt; auf die zutreffenden Ausführungen des Grundbuchamts im Nichtabhilfebeschluss vom 27.04.2023 wird Bezug genommen.
3. Der Senat verkennt nicht, dass die Nichterteilung des Unschädlichkeitszeugnisses das verfahrensgegenständliche Bauprojekt insgesamt zu gefährden geeignet ist. Dies liegt indes an Versäumnissen, die nicht in den Verantwortungsbereich der Dienstbarkeitsberechtigten fallen.
Die Vertragsparteien hätten bei vorheriger Kenntnisnahme des Grundbuchstandes und vorausschauender Planung mehrere Möglichkeiten in Erwägung ziehen können, die die Realisierbarkeit des Bauvorhabens auch ohne Rangrücktrittserklärung der Dienstbarkeitsberechtigten ermöglicht hätten. Durch die Übertragung des Vollrechts und eine abweichende, unter Berücksichtigung des Verlaufs des Kanals tatsächlich „unschädliche“ Planung wäre die Realisierbarkeit des Bauvorhabens auch ohne jede Mitwirkung der Dienstbarkeitsberechtigten möglich gewesen. Auch die Abtrennung des Grundstückteils, unter dem der Kanal verläuft, hätte in Betracht gezogen werden können. Unter Umständen kommt sogar ein aus § 242 BGB ableitbarer Anspruch der Grundstückseigentümerin auf Zustimmung zum Rangrücktritt gegen die Dienstbarkeitsberechtigten in Betracht, dessen Durchsetzung die Beschwerdeführerin hätte betreiben können. Voraussetzung hierfür wäre in der Regel die erstrangige Eintragung der Grunddienstbarkeit am Erbbaurecht im Zuge der Eintragung des Erbbaurechts, damit dem Dienstbarkeitsberechtigten gegenüber dem Erbbauberechtigten die gleichen Rechte wie bisher gegenüber dem Grundstückseigentümer zustehen (Ingenstau/Hustedt, a. a. O., § 10 ErbbauRG, Rn. 5 mit weit. Nachw.), sowie ein Ausschluss des Entschädigungsanspruchs nach § 27 Abs. 1 ErbbauRG im Erbbaurechtsvertrag – nach Erlöschen des Erbbaurechts könnte sonst nämlich bei einer Versteigerung aus dem Entschädigungsanspruch die Grunddienstbarkeit ausfallen (näher MüKoBGB/Weiß, a. a. O., ErbbauRG § 10 Rn. 4; Ingenstau/Hustedt, a. a. O., § 10 ErbbauRG Rn. 5); der zugrundeliegende Erbbaurechtsvertrag sieht eine solche Entschädigung jedoch ausdrücklich vor.
Dass derartige Möglichkeiten nicht in Betracht gezogen worden sind, kann nicht zu Lasten der Dienstbarkeitsberechtigten gehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 2 Abs. 2 FamGKG, 7 Abs. 1 Nr. 2 LJKG BW.
Ein Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht gegeben.