Schenkungen, welche zehn Jahre zurückliegen, weden nicht mehr beim Pflichtteil des Erbberechtigten berücksichtigt.
Im Zusammenhang mit Immobilien und dem Erbrecht gibt es zahlreiche Fragen, die bis zum heutigen Tag noch nicht juristisch einwandfrei abschließend beantwortet wurden. Mit der Frage, wie es sich mit Schenkungen verhält, welche die sogenannte 10-Jahres-Frist bereits überschritten haben, musste sich nunmehr der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigen. Diese Frage ist für die gängige Praxis überaus wichtig, da derartige Fallkonstellationen nicht gerade selten vorkommen. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Umstand, dass der Erblasser selbst noch die verschenkte Immobile bewohnt – sprich, der Erblasser hat noch ein Wohnrecht inne – musste der BGH jetzt ein Urteil fällen.
Laut Ansicht des BGH (Aktenzeichen IV ZR 474/15) ist es für den endgültigen rechtlichen Abschluss einer Schenkung von entscheidender Bedeutung, ob die schenkende Person noch in dem Haus der „Herr“ ist oder ob sich dieser Umstand durch eine Schenkung verändert.
Die bisherige Praxis
Als rechtliche Grundlage für das Erbrecht sowie auch Schenkungen gilt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). In der gängigen Praxis jedoch können sich im Zusammenhang mit dem Erbrecht zahlreiche Fragen ergeben, die nicht so gänzlich einfach auf die Schnelle beantwortet werden können. Eine dieser Fragen ist beispielsweise die Schenkung im Zusammenhang mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch, den eine erbberechtigte Person rechtlich gem. Erbrecht innehat. Gem. § 2325 Abs. 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch fällt eine Schenkung, welche die 10-Jahres-Frist überschritten hat, nicht mehr in die Anrechnung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Durch diesen Paragrafen könnte dem Grundgedanken nach der Pflichtteilsanspruch einer erbberechtigten Person durch eine frühzeitige Schenkung umgangen werden. Der BGH hat diesbezüglich bereits im Jahr 1987 (Aktenzeichen IVa ZR 149/86 in Verbindung mit BGHZ 102, 289 sowie 292 für eine ständige Rechtsprechung gesorgt, indem gesagt wurde, dass die 10-Jahres-Frist mit dem endgültigen Eintritt von dem sogenannten Leistungserfolg startet. Im Zusammenhang mit einer Immobilie bzw. einem Grundstück wäre dieser Zeitpunkt mit der Grundbuchumschreibung gegeben.
Auch wenn es sich auf den ersten Blick als eine überaus eindeutige rechtliche Situation darstellt, so gibt es dennoch bei einer Immobilienschenkung im Zusammenhang mit dem Wohnrecht und dem Erbrecht durchaus Probleme. Diese Probleme liegen, wie so häufig im Leben, im Detail.
In seiner ständigen Rechtsprechung geht der Bundesgerichtshof grundsätzlich davon aus, dass die Leistung im rechtlichen Sinn nicht als bereits vorliegend erachtet wird, wenn der schenkende Eigentümer die rechtliche Stellung des Eigentümers auf unbegrenzte Zeit aufgibt. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang auch ein Verzicht des Eigentümers einhergehen, die verschenkte Sache dem wesentlichen Grundsatz nach künftig weiter für sich zu nutzen. Vorbehaltene sogenannte dingliche Rechte oder auch schuldrechtliche Vereinbarungen lassen jedoch eben jenen Verzicht auf die Nutzung nicht zu, da der Eigentümer die Immobilie zwar verschenkt, sie jedoch weiterhin für sich nutzt. Dementsprechend geht der BGH von einer rein formalen Aufgabe der rechtlichen Stellung des Eigentümers aus.
Problematische Sichtweise
Die bisherige Sichtweise des BGH ließ auch weiterhin Fragen offen. Eine Frage ist beispielsweise, unter welchen Umständen ein schenkender Eigentümer überhaupt noch das verschenkte Eigentum nutzt. Dementsprechend ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich der BGH mit dieser Frage nochmals beschäftigen musste. Durch das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs wurde jedoch eine Konkretisierung der bisherig geltenden Rechtsprechung seitens des BGH vorgenommen. Ein aktueller Fall war der Anlass für die jüngste Entscheidung. In dem vorliegenden Fall hatte ein Sohn gegenüber der Mutter, die als Alleinerbin des im Jahr 2012 verstorbenen Erblassers galt, entsprechende Pflichtteilsergänzungsanspruche geltend gemacht. Der Anlass war, dass im Jahr 1993 eine Schenkung stattgefunden hatte. Im Rahmen dieser Schenkung hatte die Mutter gemeinschaftlich mit dem Erblasser die Immobilie an den Bruder des Klägers übertragen.
Im Rahmen dieser Schenkung wurde jedoch für die schenkenden Eltern ein Wohnungsrecht auf der Basis „Gesamtberechtigte“ an den Erdgeschossräumlichkeiten vereinbart. Zudem gab es auch ein Mitnutzungsrecht der Eltern an dem Garten sowie an Nebenräumlichkeiten nebst der Versorgungsleitungen und der vorhandenen Garage. Überdies wurde auch vereinbart, dass der Bruder als beschenkter Eigentümer keinerlei Veräußerungsrecht für die Immobilie hatte. Diese Vereinbarung galt jedoch befristet auf die Lebzeiten der Eltern, die zu ihren Lebzeiten einem Verkauf der Immobilie sowie auch Um- bzw. Ausbaumaßnahmen ein endgültiges Entscheidungsrecht inne behielten.
Die Eintragung in das Grundbuch erfolgte im Jahr 1994. Im Rahmen dieser Eintragung erhielt der beschenkte Bruder auch das Recht, Grundpfandrechte in einer Maximalhöhe von 200.000 DM zzgl. Zinsen sowie Nebenleistungen für Gläubiger bewilligen zu können.
Der BGH hatte zu entscheiden
Die wesentliche Kernfrage, mit welcher sich der BGH beschäftigen musste, lag darin, inwieweit sich eine derartige „eingeschränkte“ Schenkung auf den Anspruch des Pflichtteils auswirkt. Der BGH sah es als entscheidend für die Antwort dieser Frage an, ob das elterliche Nutzungsrecht dem Ablauf von der 10-Jahres-Frist letztlich entgegenstand oder ob das verschenkte Haus mit in den Pflichtteilsanspruch des Klägers hineingeregnet werden musste. Diese Frage im vorliegenden Fall wurde letztlich von dem BGH verneint.
In der Begründung gab der BGH zu bedenken, dass die Eltern nach der erfolgten Schenkung nicht mehr „Herr im Haus“ gewesen sind. Die Richterinnen und Richter an dem Bundesgerichtshof kamen zu dem Schluss, dass dies in dem vorliegenden Fall bei den schenkenden Eltern nicht mehr der Fall gewesen ist, da die Immobilie aus insgesamt drei Etagen bestand und die Nutzung der Eltern sich auf das Erdgeschoss sowie die Garage und den Garten beschränkte.
Laut Sichtweise des BGH ist es so, dass ein Erblasser, der sein Wohnungsrecht lediglich auf einen Anteil der verschenkten Immobilie beschränkt, rechtlich betrachtet den Status „Herr im Haus“ verliert.
In dem vorliegenden Fall war es zudem ebenfalls entscheidend, dass die schenkenden Eltern kein alleiniges Nutzungsrecht mehr innehatten. Dementsprechend konnten sie die Immobilie auch nicht in der Art und Weise, wie es zuvor üblich gewesen ist, nutzen. Dementsprechend musste die verschenkte Immobilie auch nicht bei dem Pflichtteilsanspruch des Klägers berücksichtigt werden.
Das Urteil des BGH hat sich einer wichtigen Frage angenommen, die bisher für eine rechtliche Unsicherheit gesorgt hatte. Für Erblasser, die eine Immobilie ihr Eigen nennen und diese Immobilie an einen ganz bestimmten Erbnehmer vorzeitig verschenken möchten, gibt es nunmehr einen Weg, den Pflichtteilsanspruch von anderen Erbnehmern zu umgehen. Hierbei gibt es jedoch durchaus wichtige Kriterien, die im Zuge dieser Schenkung berücksichtigt werden müssen. Neben der 10-Jahres-Frist ist es grundlegend wichtig, dass sich die Nutzung der Immobilie im Zuge des Wohnrechts auf lediglich einen Teil der Immobilie beschränkt. Sollte eine derartige Beschränkung nicht vorliegen, kann es durchaus zu rechtlichen Problemen mit dem Pflichtteilsanspruchsinhaber kommen, da die Immobile im Zweifel dann eben doch in den Pflichtteilsanspruch des Anspruchsinhabers eingerechnet wird. Wer als Erblasser bzw. schenkende Person hier gänzlich auf der rechtlich sicheren Seite sein möchte, der sollte zuvor einen Rechtsanwalt für Erbrecht aufsuchen und dort eine umfassende Beratung in Anspruch nehmen. Ein erfahrener und engagierter Rechtsanwalt kann zudem auch die notwendigen Schritte für die Schenkung einleiten und alle Beteiligten bei der Durchführung der Schenkung sowie der Wohnrechtsvereinbarung unterstützen.