OLG Nürnberg – Az.: 8 W 2902/20 – Beschluss vom 21.10.2020
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Amberg vom 03.08.2020, Az. 31 T 1014/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der beschwerdeführende Notar begehrt die gerichtliche Entscheidung über eine von ihm erstellte Kostenrechnung.
1.
Am 01.04.2015 beurkundete der Notar einen Kaufvertrag, wonach der Kostenschuldner ein seinerzeit in seinem Eigentum stehendes Grundstück in der … Straße …, T. (Grundbuch des Amtsgerichts Schwandorf von T., Blatt …), zum Preis von 200.000,00 € an die Eheleute L. und C. L. veräußerte (URNr. …; Bl. 4 d.A.). Zugleich wurde zur Urkunde des Notars die Auflassung erklärt. Ferner wurde in dieser Urkunde ein dingliches Vorkaufsrecht zugunsten der Tochter des Veräußerers bestellt, welches bis zur Eintragung im Grundbuch schuldrechtliche Wirkung zwischen den Beteiligten des Geschäfts entfalten sollte. Der Vertrag wurde vollzogen; die Erwerber wurden zu je ½ als Eigentümer des Anwesens in das Grundbuch eingetragen.
2.
Am 09.11.2015 beurkundete der Notar ein als „Aufhebung und Rückabwicklung eines Kaufvertrages“ bezeichnetes Geschäft (URNr. … ; Bl. 15 d.A.). Darin vereinbarten die Eheleute L. und der Veräußerer (Kostenschuldner) die Aufhebung des Kaufvertrages vom 01.04.2015. Unter dem Gliederungspunkt „II. Rückabwicklung, Auflassung, Vormerkung“ der Urkunde vereinbarten die Parteien die Zahlung eines Erstattungsbetrages von 200.000,00 € sowie die Auflassung dergestalt, dass der Kostenschuldner (wieder) Alleineigentümer des Grundstücks werden soll. Ausdrücklich ausgenommen von der Vertragsaufhebung blieb das Vorkaufsrecht zugunsten der Tochter des Kostenschuldners. Dieses war im Zeitpunkt der Beurkundung vom 09.11.2015 noch nicht in das Grundbuch eingetragen, so dass die Beteiligten vereinbarten, der Kostenschuldner werde in die schuldrechtlichen Verpflichtungen aus der Vereinbarung des Vorkaufsrechts eintreten.
3.
Für die Beurkundung vom 09.11.2015 stellte der Notar dem Kostenschuldner am 10.11.2015 einen Betrag von 824,08 € brutto in Rechnung (Bl. 32 d.A.). Darin enthalten war insbesondere eine mit „Vertragsaufhebung“ bezeichnete Gebühr nach Nr. 21102 KV GNotKG in Höhe von 435,00 € netto, der ein Geschäftswert von 200.000,00 € zugrunde lag.
4.
Auf Bitte des Präsidenten der Notarkasse (Bl. 24 d.A.) wies der Präsident des Landgerichts Amberg den Notar mit Schreiben vom 08.10.2019 an, die gerichtliche Entscheidung des Landgerichts über die Rechnung vom 10.11.2015 herbeizuführen und ggf. weitere Rechtsmittel einzulegen (Bl. 28 d.A.). Hintergrund ist die Auffassung der Notarkasse, dass für die Beurkundung vom 09.11.2015 eine höhere Gebühr nach Nr. 21100 KV GNotKG zu erheben sei.
5.
Dieser Weisung entsprechend beantragte der Notar mit einem am 25.10.2019 eingegangenen Schriftsatz die Entscheidung des Landgerichts Amberg (Bl. 1 d.A.). Er macht insbesondere geltend, die Auffassung der Notarkasse entspreche nicht dem Zweck der Regelung in Nr. 21102 Ziffer 2 KV GNotKG. Danach solle die Rückabwicklung eines – aus welchen Gründen auch immer – fehlgeschlagenen Vertrages kostenrechtlich privilegiert werden. In diesem Sinne könne auch ein bereits vollständig erfüllter Kaufvertrag rückabgewickelt werden. Durch seine Aufhebung entstehe ein bereicherungsrechtliches Rückabwicklungsverhältnis, ohne dass es eines Rückkaufvertrages bedarf. Im vorliegenden Fall sei auch keine gebührenrelevante Vertragsänderung vorgenommen worden.
6.
Der Präsident der Notarkasse hat mit einem am 02.06.2020 eingegangenen Schreiben zum Verfahren Stellung genommen (Bl. 34 d.A.) und sich den Ausführungen der Prüfungsabteilung angeschlossen (Bl. 35 d.A.).
7.
Mit Beschluss vom 03.08.2020 hat das Landgericht die dem Kostenschuldner erteilte Rechnung vom 10.11.2015 dahingehend abgeändert, dass anstelle der Gebühr nach Nr. 21102 KV GNotKG eine Gebühr nach Nr. 21000 KV GNotKG aus einem Geschäftswert von 200.000,00 € anzusetzen sei. Durch diese Gebühr von 870,00 € netto erhöhe sich der Gesamtrechnungsbetrag auf 1.334,13 € brutto (Bl. 43 d.A.). Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass es wegen des bereits erfolgten grundbuchmäßigen Vollzugs des ursprünglichen Geschäfts der neuerlichen Auflassung des Grundstücks bedurfte. Die Beurkundung dieser dinglichen Einigung stelle keine bloße Vertragsaufhebung dar. Auch aus § 109 GNotKG ergebe sich nichts anderes.
Dieser Beschluss wurde dem Notar am 13.08.2020 zugestellt.
8.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Notars ging am 14.08.2020 per Telefax beim Landgericht ein (Bl. 50 d.A.). Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 21.08.2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 52 d.A.).
9.
Der Kostenschuldner hatte in erster Instanz sowie im Beschwerderechtszug Gelegenheit zur Stellungnahme. Er hat sich jedoch nicht geäußert.
II.
1.
Die Beschwerde ist statthaft gemäß § 129 Abs. 1 GNotKG. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 130 Abs. 3 Satz 1 GNotKG, §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FamFG).
Der Notar ist auch beschwerdeberechtigt (§ 130 Abs. 1 Satz 1 GNotKG, § 59 Abs. 1 FamFG). Er ist durch die angefochtene Entscheidung zwar nicht finanziell beschwert, denn das Landgericht hat höhere Gebühren in Ansatz gebracht als sie der Notar berechnet hatte. Jedoch hat der Notar den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach Anweisung durch die vorgesetzte Dienstbehörde – den Präsidenten des Landgerichts Amberg (§ 92 Nr. 1 BNotO) – gestellt. In einem solchen Fall ist der Notar auch dann beschwert, wenn das Landgericht entgegen der Ansicht des Notars zu einer Erhöhung der Gebühren gelangt ist (§ 130 Abs. 2 Satz 2 GNotKG). Der damit verbundene Eingriff in die durch § 1 BNotO garantierte Unabhängigkeit des Notars und in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigt die Beschwerdemöglichkeit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.04.2002 – 1 BvR 358/02, juris; Senatsbeschluss vom 17.10.2017 – 8 W 1262/17, JurBüro 2018, 25, 26; OLG Frankfurt, BeckRS 2005, 5174 Rn. 7 f.; BeckOK-KostR/Schmidt-Räntsch, GNotKG, § 129 Rn. 6 m.w.N. [Stand: 01.06.2019]). Auf Nachfrage hat der Notar klarstellend mitgeteilt, dass er die Beschwerde in eigenem Namen eingelegt hat und es sich nicht um eine „Anweisungsbeschwerde“ handelt.
2.
In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass für die Beurkundung vom 09.11.2015 eine Gebühr nach Nr. 21100 KV GNotKG zu erheben und die Kostenrechnung des Notars entsprechend zu ändern ist.
a)
Entgegen der Ansicht des Notars ist für dieses Geschäft nicht lediglich eine Gebühr nach Nr. 21102 KV GNotKG angefallen.
aa)
Dieser Gebührentatbestand ist gemäß seiner Ziffer 2 anzuwenden, wenn (nur) die Aufhebung eines Vertrages Gegenstand des Beurkundungsverfahrens ist. Gemeint ist damit der Abschluss eines (verfügenden) Aufhebungsvertrages, d.h. die rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Vertragspartner über die Aufhebung des gesamten ursprünglichen Vertragsverhältnisses (contrarius consensus). Damit erlischt das Vertragsverhältnis. Der Aufhebungsvertrag ist materiell-rechtlich nicht ausdrücklich geregelt, er entspringt aber – vorbehaltlich der Rechte Dritter – unzweifelhaft der Privatautonomie und wird unter § 311 Abs. 1 BGB subsumiert (vgl. BeckOGK/Herresthal, BGB, § 311 Rn. 161 [Stand: 01.06.2019]). Ein Aufhebungsvertrag kann auch nach vollzogener Erfüllung abgeschlossen werden (vgl. MüKo-BGB/Schlüter, 8. Aufl., § 397 Rn. 18 m.w.N.). Allerdings lassen sich einmal vollzogene dingliche Einigungen nicht aufheben, sondern nur rückgängig machen (vgl. Staudinger/Bork, BGB, 13. Aufl., Bearbeitung 2020, vor §§ 145 ff. Rn. 43).
Kostenrechtlich spielt es für Nr. 21102 Ziffer 2 KV GNotKG keine Rolle, ob der aufzuhebende Vertrag schuld- oder sachenrechtlicher Natur ist und ob er noch nicht oder bereits teilweise erfüllt worden ist (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 219; Korintenberg/Tiedtke, GNotKG, 21. Aufl., KV 21102 Rn. 8 und 11; HK-GNotKG/Fackelmann, KV Nr. 21000-21102 Rn. 102). Ebenso wenig ist entscheidend, ob der ursprüngliche Vertrag oder der Aufhebungsvertrag von Gesetzes wegen der notariellen Form bedurften. Dem Wortlaut des Gebührentatbestandes und den Gesetzesmaterialien lässt sich schließlich auch keine Unterscheidung danach entnehmen, ob der Aufhebungsvertrag nur für die Zukunft oder auch rückwirkend ausgestaltet worden ist (vgl. zur dahingehenden Freiheit der Parteien: BGH, Urteil vom 16.06.1978 – V ZR 115/77, NJW 1978, 2198).
bb)
Im vorliegenden Fall beschränkte sich das am 09.11.2015 beurkundete Geschäft aber nicht auf einen bloßen Aufhebungsvertrag. Dies ergibt sich bereits aus der Überschrift der Vertragsurkunde. Die Vereinbarung der Beteiligten umfasste nicht nur die unter Ziffer I. 2. geregelte einvernehmliche Aufhebung des am 01.04.2015 geschlossenen Kaufvertrages. Diese Aufhebung des Kaufvertrages hätte entgegen der Ansicht des Notars kein bereicherungsrechtliches Rückabwicklungsverhältnis begründet, sondern zur entsprechenden Anwendung der §§ 346 ff. BGB geführt (vgl. BGH, Urteil vom 09.11.1995 – IX ZR 19/95, NJW-RR 1996, 336, 337; MüKo-BGB/Emmerich, 8. Aufl., § 311 Rn. 20). Die Vertragsparteien haben über die Rückerstattung bereits ausgetauschter Leistungen jedoch ebenfalls eine einvernehmliche Abrede getroffen. Dies betrifft Ziffer II. der Urkunde vom 09.11.2015, wo insbesondere die Erstattung des gesamten Kaufpreises von 200.000,00 € sowie die Rückübertragung von Eigentum und Besitz am Grundstück geregelt sind (actus contrarius). Da die ursprünglichen Käufer bereits als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden waren, bedurfte es der erneuten Auflassung sowie der Wiedereintragung des Kostenschuldners in das Grundbuch, welcher eine entsprechende Vormerkung vorausging. Für all dies wurde dem Notar in der Urkunde vom 09.11.2015 der Auftrag zum grundbuchamtlichen Vollzug erteilt.
Die einvernehmliche Rückerstattungsregelung über bereits vollständig erbrachte Leistungen geht über die bloße Vertragsaufhebung deutlich hinaus. Sie verbindet das Verfügungsgeschäft über den Bestand des ursprünglichen Vertragsverhältnisses mit einem Verpflichtungsgeschäft über die bereits erbrachten Leistungen (vgl. Wudy in: Rohs/Wedewer, GNotKG, KV 21100-21102 Rn. 401). Die Vertragsaufhebung bildet die rechtliche Grundlage für die (Rück-)Zahlungspflicht, die (Rück-)Auflassung und die Bewilligung der zur Erfüllung notwendigen Grundbucheintragungen. Zutreffender Ansicht nach fällt die Beurkundung solcher Gesamtvereinbarungen unter Nr. 21100 KV GKG (vgl. Korintenberg/Tiedtke, aaO Rn. 12a, scheinbar anders aber unter Rn. 13).
cc)
Es kommt hinzu, dass Nr. 21102 Ziffer 2 KV GNotKG ausschließlich die vollständige Aufhebung eines Vertrages erfasst, auch wenn die Vertragsgegenstände teilbar sind (vgl. HK-GNotKG/Fackelmann, aaO Rn. 107 Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 3. Aufl., KV 21102 Rn. 14 und 16). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Denn das im Vertrag vom 01.04.2015 unter Ziffer VIII. der Urkunde vereinbarte Vorkaufsrecht zugunsten der Tochter des Kostenschuldners ist ausdrücklich von der Vertragsaufhebung ausgenommen worden. Die Verpflichtung des Eigentümers aus der insoweit fortbestehenden Vereinbarung wurde vom Kostenschuldner übernommen und ist von diesem nach §§ 1094 ff. BGB zu erfüllen.
dd)
Zusammenfassend bilden die Aufhebung des Kaufvertrags und die Vereinbarung über die Rückerstattung der bereits erbrachten Leistungen einen einheitlichen Beurkundungsgegenstand (§ 109 Abs. 1 GNotKG), für den eine Gebühr nach Nr. 21100 KV GNotKG zu erheben ist. Dieses Ergebnis ist auch mit Blick auf Sinn und Zweck der in Nr. 21102 KV GNotKG enthaltenen Privilegierung gerechtfertigt. Denn im Gegensatz zu der unter diesen Tatbestand fallenden bloßen Aufhebung eines Vertrages ist die hier erfolgte Beurkundung des vollständigen Rückerwerbs eines Grundstücks (vgl. auch § 16 Abs. 2 GrEStG) mit deutlich höherem Aufwand sowie mit umfangreicheren Prüfungs-, Belehrungs- und Vollzugspflichten verbunden.
b)
Der Geschäftswert der notariellen Tätigkeit richtet sich nach §§ 97 Abs. 1, 47 GNotKG. Er beträgt unbestritten 200.000,00 €.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 130 Abs. 3 Satz 1 GNotKG, § 84 FamFG. Die Vorschrift des § 130 Abs. 2 Satz 3 GNotKG ist nicht anzuwenden, da die Beschwerde nicht auf Anweisung der Aufsichtsbehörde eingelegt worden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 16.11.2017 – V ZB 124/17, DNotZ 2018, 547 Rn. 19).
Eine Festsetzung des Geschäftswertes für das vorliegende Rechtsmittelverfahren ist nicht veranlasst, weil für die Zurückweisung der Beschwerde eine Festgebühr nach Nr. 19110 KV GNotKG anfällt (vgl. Korintenberg/Wilsch, aaO § 79 Rn. 7).
4.
Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 130 Abs. 3 Satz 1 GNotKG, § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Zu der entscheidungserheblichen Fragestellung ist dem Senat keine divergierende Rechtsprechung bekannt. Sie erfordert auch keine richtungsweisende Orientierungshilfe des Bundesgerichtshofs.